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Samstag, 27. Februar 2016
Die vergessene Generation
Manchmal glaube ich, dass meine Generation, also die von 1974/75/76, eine von der Gesellschaft vergessene Generation ist. Wir sind weder die Generation X, noch Grunge noch sonst irgendwas. Dafür aber ziemlich verloren. Viele Menschen meiner Generation haben ihren Weg, zumindest was das berufliche Leben angeht, nie wirklich gefunden. Und das liegt sicher nicht an mangelndem Intellekt. Wie viele hochtrabende, philosophische Gespräche hatte ich doch während meiner Schulzeit. Ich war auf zahlreichen Jugendfreizeiten und habe nächtelang mit anderen über eine bessere Welt geredet. Davon was wir später alles einmal anders machen werden und wie sehr wir die Welt verändern werden. Leider ist es bei ganz vielen von uns bei einem später geblieben.
Oft frage ich mich, woran wir eigentlich gescheitert sind? Ich habe studiert und dann ganz kurz vor dem Abschluss einfach aufgehört und gearbeitet. Das große Geld der Fernsehredaktion hat mich gefunden und mich dazu bewogen, zu glauben, ich bräuchte den Abschluss nicht mehr.
Aber ich stehe damit ja nicht alleine. So viele meiner Generation haben abgebrochene Ausbildungen und Studien. Wir gehören mit zu den ersten Kindern der großen Scheidungswelle in Deutschland. Getrennte Eltern waren nicht mehr in dem Maße verpönt, dass unsere Eltern der Nachbarn wegen zusammen geblieben wären. So gehöre ich also auch zu einer Generation von Scheidungskindern, deren Eltern noch das alleinige Sorgerecht beantragen konnten und so oftmals auch tatsächlich das andere Elternteil komplett wegfiel. Und das war nicht immer konsequent der Vater. Auch Mütter machten sich teilweise einfach aus dem Staub und ließen verletzte Kinderseelen zurück. Damals hat man das mit den Kindern und deren Seele oder Gemüt eben alles noch nicht so dramatisiert wie heute. Es galt sich mit der Situation abzufinden und das haben wir auch getan. Oder zumindest versucht. Wie ich mittlerweile aber nicht nur an mir selber beobachten konnte, haben viele von uns dann im Alter von ende 20 bis Mitte 30 plötzlich eine Lebens- und Sinnkrise. Entweder weil wir selbst Eltern geworden sind und uns gezeigt wird, wie toll diese kleine Wesen sind und die Fragezeichen in unseren Köpfen, warum uns ein Elternteil einfach so zurücklassen konnte, immer größer wurden oder weil wir unseren Weg, unsere Aufgabe, unseren Sinn und unseren Platz in der Welt noch immer nicht gefunden hatten oder als sinnlos empfunden haben. Einige stürzt das in eine solche Krise, dass sie anfangen unter Depressionen zu leiden oder eine anderweitige psychische Störung erleiden.
Aber kann das der Grund sein, warum ein Großteil meiner Generation beruflich scheitert?
Oder lag es an der plötzlichen Freiheit, die vor uns kaum eine andere Generation derart erleben konnte. Uns stand die Welt derart offen, dass wir uns nicht entscheiden konnten, welcher Weg der richtige für uns war. Wir hatten Fernseher im Kinderzimmer, C64 Computer, Atari Spiele Konsolen und später die ersten Handys zum Studiumsstart. Wir hatten offene Grenzen, billige Flüge und das Abitur in der Tasche. Aber wir waren nicht darauf vorbereitet worden, dass wir uns selbst zu etwas entscheiden mussten. In der Schule wurde vorgegebenes gelernt und im Kurzzeitgedächtnis geparkt. Allein die Entscheidung, was man eigentlich studieren wollte, war eine derart schwierige, dass viele so oft ihr Studienfach wechselten, bis sie den Glauben daran, noch das Richtige zu finden, aufgaben.
Es gab kaum jemanden, der das studierte was schon Generationen vor ihm in der Familie studiert wurde. Die meisten von uns haben Eltern, die weder Abitur noch ein Studium gemacht haben. Die also auch nicht wirklich wußten, was sie uns raten sollten. Sie vertrauten darauf, dass wir unseren Weg genauso weiter gehen, wie wir ihn zum Abitur gegangen waren. Nur das es plötzlich keinen "Aufseher", keinen "Bestimmter" mehr gab. Die Verlockung eine Vorlesung sausen zu lassen, weil es sowieso in der Masse der Studenten nicht auffiel, ob man nun im Hörsaal sass oder nicht, war einfach viel zu groß.
Und dann gab es da ja noch die Meute der coolen Leute. Die angesagte Clique jeder Jahrgangsstufe, die sich auch nach dem Abitur erstmal weiter traf und aus denen kaum jemand seinen Weg gefunden hat. Bis heute! Einige studieren noch immer. Andere haben sich damit abgefunden, keine Karriere zu machen und haben Jobs, die sie zumindest recht gut über Wasser halten. Cool ist von denen kau noch jemand. Alt sind wir alle geworden. Die Welt verändert haben wir nicht. Wir halten sie am laufen. Wir konsumieren und haben unter Umständen tatsächlich eine Familie gegründet. Durch die erlebte Scheidung der Eltern haben viele den Schritt zur eigenen Familie erst gar nicht gewagt.
Natürlich gibt es auch in unserer Generation auch die erfolgreichen Arbeitnehmer oder Arbeitgeber. Was bei Ihnen dazu geführt hat, dass sie es geschafft haben? Die Beispiele die ich kenne, hatten tatsächlich entweder eine "intakte" Familie oder sie sind in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten und haben Familienunternehmen übernommen oder das gleiche Studium absolviert.
Vielleicht ist das ihr Geheimnis. Sie haben die Freiheit nicht in Anspruch genommen, die ihnen offen stand.

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